Sonntag, 19. Juli 2020

Die befreiende Kraft der Achtsamkeit

Meine Freunde, durch die Entwicklung der lieblichen Klarheit der Achtsamkeit vermöt Ihr, das Greifen nach Vergangenheit und Zukunft zu überwinden, Anhaftung und Abneigung hinter sich zu lassen und alles ängstliche Streben zu unterlassen, sodass sich die unerschütterliche Freiheit des Herzens einstellt, hier und jetzt. Buddha

Quellbild anzeigen
  
https://www.youtube.com/watch?v=dSsAEWkmBFU

Achtsamkeit ist nichts anderes als Aufmerksamkeit. 
Eine Haltung des Gewahrseins voller Respekt und frei von Wertung. Es fördert die Gesundheit sowohl bei Lehrerinnen und Lehrern als auch bei Schülerinnen und Schülern.

Wie funktioniert eine uns befreiende Achtsamkeit?
Normalerweise schätzen wir uns selbst und andere ständig ein, das ist auch eine Voraussetzung des Lehrerberufs. Unser Alltag ist von einer Mischung aus Erwartungen, Kritik und Kommentaren versehen. Bringen wir jedoch unserer Erfahrung eine achtsame Aufmerksamkeit - ohne zu werten -  entgegen, so wirkt das befreiend und wir erleben mehr Ausgeglichenheit, Freiheit und Überblick. Wenn wir jedoch unsere eigene Unzufriedenheit, Hilflosigkeit, Wut, Schmerz, Ehrgeiz, unsere Werte, Überzeugungen, Sehnsüchte und unsere innere Güte leugnen, werden wir und andere Leid erfahren.
Wir alle in der Schule kämpfen im Alltag mit den Herausforderungen des Samurai. Zu viel und zu schnell wechseln die täglichen Anforderungen und erwarten oft eine schnelle Antwort und Reaktion von uns. 
Mit dem Erkennen unserer aufkommenden Gefühle kommt oft eine Form von Abneigung oder Anhaftung gegen / an die damit verbunden Gefühle auf. Akzeptieren bedeutet, diese Gefühle für den Moment einfach stehen zu lassen und zu erforschen, ohne direkt darauf zu reagieren.
"Wenn Du begreifst, sind die Dinge so, wie sie sind. Begreifst Du aber nicht, sind die Dinge immer noch so, wie sie sind", benennt eine Zen Weisheit diese Situation. Das bedeutet nicht, dass wir nichts tun sollten. Sondern das wir uns ersteinmal einen Überglick verschaffen, ohne direkt zu reagieren. "Wir bringen unsere Aufmerksamkeit vollen Respekt und Interesse auf , nicht um die Umwelt zu manipulieren, sondern um die Wahrheit zu begreifen. Wenn wir sehen, was wahr ist, wird unser Herz frei" schreibt Shunryu Suzuki. "Auf der Ebene des Supreme Court (des obersten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten), auf der wir arbeiten, werden 90 Prozent aller Entscheidungen emotional getrofffen. Der rationale Teil unseres Selbst liefert uns nur die Begründungen für unsere Vorlieben oder Abneigungen" schreibt Richter William O´Douglas. Das sieht bei uns Lehrerinnen und Lehrern nicht anders aus, wie Untersuchungen zur Leistungsdiagnistik belegen.*1  "Die Kunst des Lebens besteht weder darin, sich sorglos treiben zu lassen, noch darin, ängstlich an allem anzuhaften. Lebenskunst heißt, jeden Augenblick gegenüber sensibel zu sein. Ihn als neu und einzigartig zu betrachten, während der Geist offfen und empfänglich bleibt." schreibt Alan Watts.
Werden jedoch zu viele Herausforderungen an uns zeitgleich an uns herangetragen, so reagiert unser Körper zunächst unbewusst. Der Körper ist der Spiegel für unsere Gefühle. Achtsamkeit kann uns lehren die Anspannung in unserem Geist zu erkennen und diese dann bewusst wahrzunehmen. Dazu gehört es, die Gedanken, Gefühle und Emotionen zu benennen, ohne diese zunächst zu bewerten. Wir erhalten damit Abstand und mehr Überblick über eine Situation. Dabei hilft es, sich über unseren Atem in der Gegenwart zu verankern.
Die vier Grundlagen dieses achtsamen, nicht wertenden Wandels in uns sind:

1. Erkennen / Benennen was ist.
2. Akzeptieren, was ist.
3. Erforschen von Körperreaktion, Gefühlen und des Geistes.
4. Nicht Identifizieren

"Weisheit erkennt, welche Gefühle in uns präsent sind, ohne sich in ihnen zu verlieren." ist daher das neunte Prinzip der buddhistischen Psychologie.
Jede Erfahrung unseres Lebens, jede Herausforderung, der wir uns stellen, besteht aus unterschiedlichsten angenehmen, unangenehmen und neutralen Momenten. Diese Gefühle stellen den Fluss des Lebens dar. Nehmen wir die grundlegende gefühlsmäßige Färbung des Augenblicks wahr und stellen fest wie und ob wir darauf reagieren, hilft uns aus automatischen Reaktionsmustern auszubrechen. Das heißt auf keinen Fall, Gefühle unreflektiert heraus zu lassen oder diese zu unterdrücken. Nehmen wir Gefühle wahr, erkennen und Akzeptieren wir diese, können wir sie ersteinmal in unseren Körperreaktionen und Gefühlen erforsche und stehen lassen und uns ersteinmal im Augenglick nicht mit ihnen identifizieren. Die Reflektion der Gefühle findet erst im Anschluss aus der Ruher heraus statt.

*1 II. Studie: "Herkunft zensiert?" Leistungsdiagnostik und soziale Ungleichheit in der Schule. Kai Maaz, Franz Baeriswyl, Ulrich Trautwein. Springer Link Mai 2013
Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern werden in deutschen Schulen ungerecht behandelt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie deutscher und Schweizer Bildungsforscher. Bei gleicher Leistung erhalten Schüler, die in sozial schwierigen Verhältnissen aufwachsen, schlechtere Noten als ihre Kameraden aus bildungsnahen Schichten. Benachteiligung erfahren sie allerdings nicht nur durch die Lehrer. Auch die Entscheidung der Eltern für die weitere Schullaufbahn ihres Nachwuchses hält Schüler aus bildungsfernen Familien von höheren Schulabschlüssen ab.

Freitag, 17. Juli 2020

Kindheitstrama und seine Folgen


Ein wachsendes Verständnis entwickelt sich durch überzeugende Beweise aus den neuesten neurobiologischen Erkenntnissen, dass sich die Grundlagen von lebenslanger Gesundheit bereits in der frühen Kindheit und der pränatalen Periode aufgebaut.
Ein Kind, das in einer sicheren Umgebung mit unterstützenden Beziehungen und verlässlichen Routinen aufwächst, entwickelt eher gut funktionierende physiologische Strukturen, einschließlich der Gehirn- und Neuronalen-Kreisläufe, die eine positive Entwicklung und eine lebenslange Gesundheit fördern. Kinder hingegen, die in einem unsicheren Umfeld aufwachsen, in dem sie sich bedroht oder vernachlässigt fühlen, können physiologische Reaktionen und ein Bewältigungsstrategie entwickeln, das auf die harten Anforderungen abgestimmt ist, welches das Kind in seiner prägenden Phase erlebt. Dieses erlernte Bewältigungspotenzialen beeinträchtigt sowohl das körperliche als auch das geistige Wohlbefinden, sowie das Selbstregulierungsverhalten und des effektive Lernen. Die Gesundheit und das Verhalten der Betroffenen Kinder und späteren Erwachsenen kann dadurch ein Leben lang ungesund beeinflusst sein, da sie sich in der Folge in einem permanenten Angriffs-, Verteidigungs- und Taubheitsgefühl befinden oder ihre Gefühle und ihr Verhalten eingefroren zu sein scheinen. Physiologische Systeme funktionieren in der Regel am effektivsten, wenn sie in einem gut regulierten Bereich arbeiten – und signifikante Abweichungen über beide Enden dieses Bereichs hinaus können zu Problemen in der körperlichen und geistigen Gesundheit führen.
Erkenntnisse der Neurohplastizität belegen, dass dieses Wissen genutzt werden kann und sollte, um innovative Lösungen und Hilfen für die betroffenen Kinder zu entwickeln, um vermeidbare Krankheiten und vorzeitige Todesfälle, Schuldistanz und Schulabruch zu reduzieren und die hohen Kosten der Gesundheitsversorgung für chronische Krankheiten und des Sozialsystems zu senken.
Sowohl die ACE (Adverse Childhood Experiences) Studie an über 17.000 Erwachsenen als auch die Dunedin Langzeitstudie konnte belegen, das frühe Kindheitskonflikte und Widrigkeiten, die ein Kind hilflos zurücklassen und zu einer bleibenden seelischen Verletzung führen. Die ACE Studie konnte nachweisen, das sich diese Widrigkeiten aufsummieren und eine Posttraumatische Entwicklungsstörung zur Folge haben können. In der Studie wurden zehn prägende Einflüsse untersucht. Hierzu zählen emotionale Vernachlässigung, emotionaler Missbrauch, körperliche Vernachlässigung, körperliche Misshandlung, Gewalt gegenüber einem Familienmitglied, Trennung/Scheidung der Eltern, Suchtmittel-Missbrauch eines Familienmitgliedes (Alkohol, Drogen), psychische Erkrankungen eines Familienmitgliedes (z.B. Depression, Bipolare Störung), Konflikte eines Familienmitgliedes mit der Polizei oder sexueller Missbrauch. Aber auch andere Faktoren spielen, wie man mittlerweile weiß, eine große Rolle wie z.B. Armut. Dabei werden diese Faktoren jeweils häufig von Generation zu Generation weiter gereicht. Nicht nur an Brennpunktschulen kommt es in der Gesellschaft zur Aufsummierung dieser Faktoren, die weitreichende Folgen für das spätere Leben des Kindes zeigt.

Neurophysiologische Hintergründe für eine mögliche Trauma Entwicklung in der frühen Kindheit

Außer Frage steht heute, dass ein Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele unsere biologischen Systeme beeinflussen und einstellen. Alle biologischen Systeme des Körpers interagieren fein abgestimmt miteinander und passen sich dabei den Bedingungen an, dem ein Mensch von außen und innen ausgesetzt ist und in dem er sich entwickelt. Das kann zum Besseren oder zum Schlechteren sein und die Ursprünge werden bereits in der Kindheit gelegt.


Treten externe oder interne Bedrohungen für den Körper auf und lösen eine Stressreaktion aus, interagieren mehrere Systeme des Körpers gleichzeitig,um diesen zu schützen. Jedes dieser Systeme besitzt eine spezielle Aufgabe und Fähigkeit, die die anderen Systeme unterstützt und ergänzt, um als Ganzes in der Lage zu sein, schüztend zu reagieren. Diese fein abgestimmten, interagierenden Systeme des Körpers regulieren die Gehirnaktivität, den Schlaf, Herz- und Lungenfunktion, Verdauung, Energieerzeugung und Infektionsbekämpfung und sind eng miteinander verbunden. Dadurch beeinflussen sie die Entwicklung des jeweils anderen interagierenden Systems. Bei einem biologischen System handelt sich also um ein sich wechselseitig beeinflussendes System von Reiz-Bewertung und Reaktion. Jeder menschliche Körper orientiert sich mit Hilfe seiner Sinne in seinem Umfeld, sammelt Information, bewertet diese, um sich auf eine für das System best mögliche Antwort und Reaktion vorzubereiten. Durch eine Rückkopplungsschleife sind die Systeme miteinander verbunden und interagieren. Ein Körper, der sich bereits in einem Stresszustand befindet, hat den Vorteil, schneller auf von außen eintreffende Reize reagieren zu können. Der erste Schritt hierfür stellt die Entzündungsreaktion dar, die dem Körper dazu dient, schneller das körpereigene Immunsystem aktivieren zu können. Aus biologischer Sicht ist dies zunächst eine sinnvolle Überlebensstrategie. Wenn die Welt ein gefährlicher Ort ist, müssen sich die internen Systeme, die uns schützen sollen, so entwickeln, dass Bedrohungen möglichst schnell antizipiert werden und der Körper sich schnellstmöglich schützen kann. Dabei hängt die Stressreaktion eng mit der Bewertung und Einschätzung einer möglichen Bedrohnung für den Körper zusammen.

Um mögliche äußere Gefahren und Bedrohungen schnell erkennen und darauf entsprechend reagieren zu können, richtet sich die Aufmerksamkeit nach Außen. Diese Systeme, dauerhaft angeschaltet, justieren sich auf ein höheres Aufmerksamkeits- und Stressniveau ein und lassen sich danach nicht so einfach wieder abschalten. Die Umgebung in der wir uns befinden - und wie wir sie bewerten - und die wir für unsere Schülerinnen und Schüler schaffen und die Erfahrungen, die wir ihnen bieten, beeinflussen maßgeblich das sich entwickelnde Gehirn, aber auch viele andere physiologische Körpersysteme wie das Herz-Kreislauf System, die Immunreaktion des Körpers und die metabolische Regulation. In ihrer Gesamtheit zeigen sich all diese Faktoren verantwortlich für eine lebenslange Gesundheit, das Wohlbefinden und die Stressreaktion des Körpers. Eine Aufsummierung und anhaltende Problemsituationen in der Kindheit (insbesondere in der frühen Kindheit) können diese biologischen Systeme physiologisch jedoch dauerhaft schädigen. Dies kann langanhaltende Folgen haben, wenn in der Kindheit häufige intensive oder dauerhafte Stressreaktionen aktiviert werden. 

Mann muss sich das so vorstellen, als würden sich bei den Genen ein Schalter umlegen, der zu dauerhaften Stressreaktionen führt, die den gesamten Körper in Achtsamkeit auf mögliche Gefahren und Stressoren versetzt und dadurch schneller und leichter in Gefahrensituationen aktivieren lässt. Der gesamte Körper läuft dann in einem Zustand, der vergleichbar ist mit dem Zustand, wenn beim Fahren eines Autos gleichzeitig Vollgas gegeben wird, während man gleichzeitig auf der Bremse steht. Diese dauerhaft aktivierte Stressreaktion verbraucht viel Energie und erzeugt massive Kosten für den Körper und die Gesundheit. Im Laufe der Jahre führen wiederholte Aktivierungen zu einem höheren Risiko für mit Stress verbundene Krankheiten. Dazu zählen zunächst eine erhöhte Entzündungsreaktion des Körpers und deren Folgeerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, Fettleibigkeit, Typ-2-Diabetes, Atemwegs- und immunologische Erkrankungen, Arthritis, Magen-Darm-Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen, verschiedene Krebsarten, Depressionen, Alzheimer und eine Reihe weiterer psychischer Probleme. Ein Immunsystem, das nicht auf einem ausreichend hohen Niveau arbeitet, ist nicht in der Lage, schwere Infektionen abzuwehren, aber eines, das hyperaktiv ist, kann den Körper mit krankheitserregenden Entzündungen überschwemmen, die zu vielen der oben aufgezählten Krankheiten beitragen. 

Das muss nicht zwangsläufig so sein, wir sind in der Lage durch verschiedene Verhaltensweisen Wohlbefinden und Resilienz für unseren Körper herzustellen, indem wir wissen oder lernen, was unserem Körper gut tut und Selbstmitgefühl üben, indem wir uns selbst gegenüber eine wohlwollende, liebevolle innere Haltung einnehmen und umsetzen, was uns gut tut. 

Die ACE Studie konnte signifikant nachweisen, das dauerhaft anhaltende Widrigkeiten in der Kindheit und deren Summierung zu schlechter Gesundheit bis hin zu frühzeitigem Versterben führen können, weil Mechanismen des Selbstschutzes gelernt werden, die dem Körper kurzfristig zwar helfen, dauerhaft jedoch eher schaden und belasten. Die ACE Studie konnte signifikant belegen, dass Kindheitstraumata in Folge spätere gesundheitliche Probleme nach sich ziehen. Kinder entwickeln, wenn sie in Familien mit anhaltenden Problemen und Widrigkeiten aufwachsen und keine angemessene begleitende Unterstützung erhalten, im Erwachsenenalter Krankheiten, die auf eine anhaltende Stressreaktion zurückzuführen sind.